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„Man spürt die Explosionen im ganzen Körper“: Ex-US-Marine über Lage in Bachmut

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Von: Lucas Maier

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Andy Milburn ist Kommandant der Mozart-Gruppe und spricht im exklusiven Interview über den Ukraine-Krieg und die Lage an der Front in der heftig umkämpften Stadt Bachmut.

Andy Milburn, ihre Organisation, die Mozart Gruppe operiert aktuell in Bachmut. Die Stadt ist einer der Brennpunkte des Kriegs. Noch vor wenigen Tagen waren Sie selbst dort im Einsatz. Wie ist die Situation vor Ort?

Die Einschätzung westlicher Militärkommentatoren zum Eroberungsversuch des Donbass ist, dass Russland damit ein strategisch irrelevantes Ziel verfolgt. Diese Leute haben die politische Ebene des Krieges nicht verstanden. Wie Clausewitz sagte: Krieg ist eine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Hier rückt das militärisch-strategische Ziel in den Hintergrund. Alles, was Wladimir Putin will, ist den Donbass für sich zu sichern. Mittlerweile sind nur noch drei Großstädte in der Region übrig. Kramatorsk, Pokrowsk und Bachmut. Bachmut kommt beziehungsweise ist mittlerweile im russischen Frontverlauf.

Russlands Strategie beruht darauf, eine Stadt so lange unter schweren Dauerbeschuss zu setzen, bis sie sicher sind, dass alle ukrainischen Verteidiger das Gebiet verlassen haben. Das haben wir bereits in anderen Großstädten im Donbass gesehen und jetzt passiert genau das auch in Bachmut. Wie schwer die Angriffe sind, merkt man bereits beim Betreten der Stadt. Man sieht Rauch über Stadt liegen, man hört Artillerieschläge und spürt Explosionen im ganzen Körper. Ich bekam dabei jedes Mal Herzrasen und wurde kurzatmig. So leben kann ich mir nicht vorstellen. Wir gehen zum Glück nur rein und wieder raus. Diese Wahl haben die Menschen vor Ort oft nicht.

Wie ist ihre Gruppe geschützt, wenn ihr in die Stadt fahrt?

So gut wie gar nicht. Wir fahren mit normalen Fahrzeugen in die Stadt. Der einzige Schutz, den wir haben, ist unsere persönliche Ausrüstung, diese bietet jedoch nur geringen Schutz. Wir haben lernen müssen, wann es Zeit ist in Deckung zu gehen und wann wir uns am Rande des effektiven Gefahrenbereichs befinden. Es ist eine konstante Gefahr, wir fahren mit offenen Fenstern und müssen ständig wachsam sein.

Andy Milburn: Kopf der Mozart Gruppe.
Andy Milburn: Kopf der Mozart Gruppe. © Mozart Gruppe

Zur Person

Andy Milburn hat 31 Jahre bei den US Marines gedient. Die letzten zehn Jahre seiner Dienstzeit hat er im Kommando für Spezialoperationen verbracht. Er hat von 2016 an die Joint Special Operations Task Force im Irak kommandiert und wurde stellvertretender Befehlshaber des Special Operations Command Center. Dieses Kommando war für alle Spezialoperationen im Nahen Osten verantwortlich, die sich in erster Linie gegen den islamischen Staat richteten.

Seit seinem Ausscheiden aus der Armee im Jahr 2019 ist Milburn als Berater für militärische Angelegenheiten, mit einem Fokus auf Spezialoperationen, tätig. Heute ist er Leiter der Mozart Gruppe, die als Gegenstück zur russischen Söldnertruppe Wagner gegründet wurde.

Wie sieht die Arbeit aus, wenn Sie es dann in die Stadt geschafft habt?

Normalerweise geben wir humanitäre Hilfsgüter an der Feuerwache ab. Es gibt eine Gruppe sehr mutiger Feuerwehrleute, mit denen wir zusammenarbeiten. Sie verteilen die Hilfsgüter an die Zivilbevölkerung. Einige von ihnen wurden bereits verwundet, manche haben dabei ihr Leben verloren, aber die Gruppe macht trotzdem weiter. Das ist unglaublich mutig und wahnsinnig edel.

Wie geht es dann weiter?

Wir fahren in den gefährlichsten Teil der Stadt, in die östlichen Viertel. Dieser Teil ist nur noch über eine Pontonbrücke zu erreichen, weil die eigentliche Brücke zerstört wurde. Sobald man den östlichen Teil der Stadt erreicht, ist man quasi direkt auf dem Schlachtfeld. Als wir das letzte Mal vor drei Tagen dort waren, war aus drei Richtungen Maschinengewehrfeuer zu hören. Die russischen Soldaten sind bereits in diesem Bereich, es wird auf kurze Distanz gekämpft, hinzu kommen Drohnenangriffe und Artillerieschläge. Wenn es wolkig ist oder regnet, gibt uns das etwas Schutz vor den Drohnen. Aber wir müssen so oder so dort rein, also fahren wir auch bei klarem Himmel.

Was ist Ihr Ziel im Osten der Stadt?

Es gibt auch dort noch Zivilisten, die wir mit Hilfsgütern versorgen. Wir versuchen sie zum Mitkommen zu überreden, aber viele haben Angst davor. Es ist ein ergreifender Anblick, zu sehen, wie ganze Familien versuchen einfach weiterzumachen. Jedes Mal, wenn diese Menschen ihre Keller verlassen, um Wasser zu holen, gehen sie das Risiko ein, getötet zu werden. Deshalb bringen wir ihnen Wasser. Wasser ist neben Wärme, Feuer, Kerzen, Licht und Nahrung das, was am meisten benötigt wird. Wir haben mittlerweile eine so enge Beziehung zu diesen Menschen aufgebaut, dass wir sie jedes Mal am liebsten einfach ins Auto zerren würden, um sie aus dieser Hölle zu fahren, aber das können wir natürlich nicht tun.

Die Hölle von Bachmut: Im Osten der Stadt ist es am schlimmsten

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Volunteers take part in training during courses with The Mozart Group, in the Donetsk region on September 22, 2022, amid the Russian invasion of Ukraine.
Die Mozart-Gruppe beim Training in der Ukraine. (Archivbild) © JUAN BARRETO/AFP

Ukraine-Krieg in Bachmut: Ex-US-Marine kann sich nicht an „Tragödien dieser Menschen“ gewöhnen

Was macht das mit Ihnen, diese Menschen so zu sehen, ohne Sie dort wegholen zu können?

Es ist herzzerreißend. Die Menschen empfangen uns immer warmherzig und bieten uns Suppe an. Ich habe viele Kriegsschauplätze gesehen. Ich habe die Schlacht von Falludscha miterlebt, als wir im Häuserkampf direkt gegen Al-Qaida gekämpft haben. Diese Art der Angst ist mir also nicht unbekannt. Aber hier ist es anders. Es fühlt sich wie ein böser Ort an. Egal wie oft man das auch tut, man gewöhnt sich nicht an die Tragödien dieser Menschen. Es ist schrecklich zu wissen, dass die meisten dieser Menschen sterben werden, auch die Kinder. Diese emotionale Last liegt schwer auf den Schultern unserer Leute.

(Lucas Maier)

Hinweis der Redaktion: Dies ist der zweite Teil des exklusiven Interviews von IPPEN.MEDIA mit Andy Milburn von der sogenannten Mozart-Gruppe. Hier finden Sie den ersten Teil des Interviews über den Ukraine-Krieg, die Ausbildung ukrainischer Soldaten und die Unterstützung des Westens.

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