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Deutsche China-Politik: Kommt jetzt die „Zeitenwende“ in den Beziehungen zu Peking?

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Von: Sven Hauberg

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Als Hamburger Bürgermeister traf Olaf Scholz im Jahr 2017 Chinas Staatschef Xi Jinping. Seit seiner Wahl zum Bundeskanzler allerdings noch nicht.
Als Hamburgs Erster Bürgermeister traf Olaf Scholz im Jahr 2017 Chinas Staatschef Xi Jinping. Seit seiner Wahl zum Bundeskanzler allerdings noch nicht. © Xie Huanchi/Xinhua/Imago

Sanktionen gegen China? Kein Tabu mehr. Und auch sonst schlägt die Bundesrepublik einen neuen Kurs gegenüber Peking ein. Das zeigte zuletzt eine Asien-Reise von Olaf Scholz.

München/Berlin - Man kann sich darüber streiten, ob es der richtige Zeitpunkt für eine Reise nach Ostasien ist, wenn daheim in Europa ein Krieg tobt. Vor allem die Union fand es unpassend, dass Olaf Scholz ausgerechnet jetzt in die Ferne geflogen ist, anstatt zu Hause Führungsstärke zu zeigen. Unumstritten aber dürfte sein, dass der Bundeskanzler seinen Antrittsbesuch in Asien nicht in China absolviert hat, sondern in Japan. Denn das Treffen mit Japans Premierminister Fumio Kishida war nicht nur ein freundschaftliches Zeichen an Tokio, es war auch und vor allem, ein Wink in Richtung Peking. „Es ist kein Zufall, dass mich meine erste Reise als Bundeskanzler in diese Weltregion heute hierher, nach Tokio, führt“, sagte Scholz.

Seine Vorgänger im Kanzleramt, Gerhard Schröder und Angela Merkel, hatten stets zuerst China besucht und waren erst danach, wenn überhaupt, weiter nach Tokio gereist. Merkel traf sich fast jedes Jahr mit der Pekinger Führung, zuletzt war sie im September 2019 nach China geflogen, nur wenige Monate vor Ausbruch der weltweiten Corona-Pandemie. Scholz‘ Regierungsmaschine hingegen hat auf dem Weg nach Asien China lediglich überflogen. Und das dürfte nicht nur mit der Corona-Lage in Peking, Shanghai und anderswo im Land zu tun haben.

In Tokio nannte Scholz seinen Besuch am Donnerstag (28. April) „ein klares politisches Signal, dass Deutschland und die Europäische Union ihr Engagement in der Indopazifikregion fortsetzen und intensivieren wollen“. Scholz lobte auch, dass sich der „Wertepartner“ Japan im Ukraine-Krieg „klar und entschieden an die Seite der Ukraine, Europas und der USA gestellt“ habe. Japan trägt, neben Südkorea und Singapur, als eines von nur drei Ländern in der Region die Sanktionen gegen Russland mit. „Und das, obwohl die Ukraine von Tokio aus gesehen natürlich viel weiter entfernt ist als von Berlin“, wie Scholz ergänzte.

Kanzler Scholz während Ukraine-Krieg in Japan: „China-Politik an dem China ausrichten, das wir real vorfinden“

China erwähnte der Kanzler nicht, aber als Scholz sich in Japan laut fragte, „welche Abhängigkeiten wir uns künftig leisten können und wollen, etwa bei strategisch wichtigen Technologien oder Rohstoffen“, da war das nicht nur gegen Russland gerichtet. Konkreter als Scholz wurde Japans Premierminister. Man habe mit Blick auf Peking „starke Bedenken“ ausgetauscht, sagte Kishida und nannte die Menschenrechtslage in China und vor allem in Xinjiang sowie die Situation im Südchinesischen Meer, wo China umstrittene Gebietsansprüche erhebt.

Bundeskanzler Olaf Scholz traf sich am Donnerstag in Tokio mit Japans Premierminister Fumio Kishida.
Bundeskanzler Olaf Scholz traf sich am Donnerstag in Tokio mit Japans Premierminister Fumio Kishida. © Imago/Zuma Wire

Olaf Scholz galt lange Zeit als geistiger Nachfolger der Merkel‘schen China-Politik, die die Handelsbeziehungen mit dem Land ins Zentrum gerückt und Menschenrechtsfragen eher mit leiser Stimme angesprochen hatte. Schon in seiner Regierungserklärung Mitte Dezember aber nahm er eine Kurskorrektur vor. „Die chinesische Führung vertritt ihre Interessen mit großem Selbstbewusstsein. Deutschland und Europa haben allen Grund, unsere Interessen ebenso selbstbewusst und engagiert zu vertreten“, sagte Scholz und forderte, Deutschland müsse seine „China-Politik an dem China ausrichten, das wir real vorfinden“. Das war eine Absage an die Wandel-durch-Handel-Träumereien früherer Bundesregierungen, die über Jahrzehnte geglaubt hatten, Peking werde sich früher oder später westlichen Werten öffnen, wenn Deutschland nur genug Autos in China verkaufe.

Spätestens seit Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping mit eiserner Hand gegen Andersdenkende vorgeht, hätte man es allerdings besser wissen können. Endgültige Klarheit, auf welcher Seite Peking steht, brachte Russlands Einmarsch in der Ukraine. Noch immer weigert sich Peking, von einem Krieg zu sprechen, und gibt nicht Moskau die Schuld an der Eskalation, sondern den USA und der Nato. Für China ist Russland kein Aggressor, sondern ein Freund.

Chinas Rolle im Ukraine-Krieg: Ankündigung von Strafmaßnahmen bei Unterstützung Russlands

Dass man sich in Berlin längst keine Illusionen macht über Chinas Rolle in dem Krieg, zeigt auch ein Antrag der Ampel-Parteien, der am Donnerstag im Bundestag mit großer Mehrheit verabschiedet wurde. Die Volksrepublik China müsse „ihre Billigung des Krieges“ aufgeben und sich stattdessen aktiv für einen Waffenstillstand einsetzen, heißt es in dem Antrag. Für den Fall, dass Peking den Kreml aktiv unterstützen sollte, wird mit Strafmaßnahmen gedroht. „Jedwede Bestrebung, die von der westlichen Staatengemeinschaft verhängten Sanktionen gegen Russland zu unterlaufen oder gar Waffen an Russland zu liefern“, werde „wirtschaftliche und personenbezogene Sanktionen nach sich ziehen“. Derart deutliche Worte in Richtung China sind selten im Bundestag.

Sie passen allerdings zum neuen deutschen Tonfall gegenüber Peking. Noch arbeitet das Außenministerium von Annalena Baerbock an einer China-Strategie; in welche Richtung es gehen dürfte, zeichnete sich allerdings schon im Wahlkampf ab, als die Grünen-Politikerin einen Mix aus „Dialog und Härte“ gefordert hatte sowie eine werteorientierte Außenpolitik. Mitte März sagte Baerbock dann bei einer Rede zum Start der Erarbeitung einer neuen Nationalen Sicherheitsstrategie, Deutschland müsse sich mit Blick auf China seinen „wirtschaftlichen Abhängigkeiten intensiv stellen“. Zuletzt sicherte Baerbock dann Litauen Unterstützung im Konflikt mit Peking zu. Dass China das EU-Land mit Sanktionen überzogen hatte, bezeichnete die Außenministerin bei einem Besuch in Vilnius als „nicht akzeptabel“ und forderte, die Strafmaßnahmen müssten aufgehoben werden.

Auch aus der FDP kommen zunehmend China-kritische Töne. In einem Interview mit der Zeit forderte Bundesfinanzminister Christian Lindner unlängst, dass „wir bevorzugt mit denjenigen ins Geschäft kommen sollten, die nicht nur Handelspartner sind, sondern auch Wertepartner sein wollen“. Bezogen war das zuallererst auf Moskau, aber eben auch auf Peking. Denn Lindner sagte, er mache sich Sorgen, „dass wir viel Energie aus Russland importieren und eine starke wirtschaftliche Verflechtung mit China haben“. Um „die internationalen Beziehungen auch bei unserem Export diversifizieren“, müsse die Bundesregierung Grundlagen schaffen, indem sie Türen öffne und die rechtlichen Rahmenbedingungen erleichtere, so Lindner weiter.

China und Deutschland: Kurs der Ampel – Auch Union übt Kritik an Peking

Unterstützung für den China-Kurs der Ampel kommt auch von der Union. Zwar hatte Unionsfraktionsvize Johann Wadephul am Donnerstag im Bundestag noch kritisiert, dass Scholz in Japan war anstatt im Parlament, wo über die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine abgestimmt wurde. Den Regierungsantrag von SPD, Grünen und FDP, der China mit Sanktionen im Falle einer Unterstützung Russland drohte, trugen CDU und CSU jedoch mit.

Angela Merkel 2010 in Peking: Die damalige Bundeskanzlerin traf sich bereits mit Xi Jinping, als dieser noch Vize-Präsident Chinas war.
Angela Merkel 2010 in Peking: Die damalige Bundeskanzlerin traf sich bereits mit Xi Jinping, als dieser noch Vize-Präsident Chinas war. © Xinhua/Imago

Und bereits Anfang April hatte CDU-Chef Friedrich Merz ein härteres Auftreten gegenüber Peking gefordert. „Wir müssen auch die deutsche und europäische Chinapolitik überdenken“, sagte er in einem Deutschlandfunk-Interview. Die Abhängigkeit von China müsse Deutschland „schnell und deutlich reduzieren“. Merz griff in dem Interview auch Chinas Drohgebärden in Richtung Taiwan auf – auch wenn er nicht so weit ging wie unlängst die britische Außenministerin, die forderte, die demokratisch regierte Insel müsse von der Nato beschützt werden. Klare Worte fand Merz dennoch. „China bedroht Taiwan militärisch. Und wir sollten das Preisschild schon schreiben, dass die Volksrepublik China und die chinesische Staatsführung zur Kenntnis nehmen müssen“, sagte er. Was sich in der Opposition freilich leichter fordern lässt, als wenn man auf der Regierungsbank sitzt.

Deutschland liegt mit seinem neuen Kurs ganz auf der Linie der EU, mit der Baerbock ihre China-Politik erklärtermaßen abstimmen will. Beim virtuellen Gipfeltreffen mit Xi Jinping und Chinas Premierminister Li Keqiang hatten Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel zum Rundumschlag ausgeholt. Man habe Chinas Haltung im Ukraine-Krieg kritisiert, zudem die Menschenrechtslage in Tibet, Xinjiang und Hongkong angesprochen und Pekings Vorgehen gegen Litauen verurteilt, hieß es anschließend.

China und Deutschland: massive wirtschaftliche Abhängigkeiten – EU wird unbequemer Partner

Dass Brüssel zunehmend ein unbequemer Partner für Peking wird, zeigt sich derzeit auch an einigen brisanten Gesetzesvorhaben der EU. So will ein aktueller Gesetzesentwurf verhindern, dass von der Regierung mit viel Geld ausgestattete Staatskonzerne Ausschreibungen in der EU gewinnen oder Technologieunternehmen aufkaufen. Vor allem Staatsfirmen aus China sichern sich so bislang unfaire Wettbewerbsvorteile, findet Brüssel.

Eine weitere Verordnung sieht vor, dass Länder bestraft werden können, die europäische Unternehmen bei öffentlichen Ausschreibungen diskriminieren. Konkret bedeutet das: Wenn sich ein Staat weigert, seinen öffentlichen Beschaffungsmarkt für EU-Anbieter im gleichen Ausmaß zu öffnen wie die EU, dann drohen Sanktionen. Gemeint ist auch hier vor allem Peking. Auch das geplante EU-Gesetz gegen Zwangsarbeit ist nicht zuletzt an China adressiert.

Nur eines steht all den Bekenntnissen zu einem neuen Kurs gegen Peking und einer wirtschaftlichen Unabhängigkeit von China entgegen: die Realität. Denn die europäischen Abhängigkeiten von China sind gewaltig, vor allem in Deutschland. China war im vergangenen Jahr der wichtigste Handelspartner der Bundesrepublik – zum sechsten Mal in Folge. Exportiert wurden Waren im Wert von mehr als 103 Milliarden Euro. Umgekehrt aber scheint der Investitions-Boom chinesischer Unternehmen in Deutschland und im Rest Europas vorbei zu sein, wie eine Studie ergab. Klar jedenfalls ist: Eine 180-Grad-Drehung in der deutschen China-Politik ließe sich nur im Verbund mit den europäischen und transatlantischen Partnern bewerkstelligen – und sie wäre wohl sehr teuer. (sh)

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