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40 Erstklässler bleiben an Ludwigshafener Schule sitzen – „Stadtweiter Bildungsnotstand droht“

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Von: Florian Römer

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Ludwigshafen - An der Gräfenauschule müssen wohl 40 Kinder das 1. Schuljahr wiederholen. Nach der Rektorin der Grundschule schlagen auch die Grünen im Stadtrat jetzt Alarm:

Update vom 24. April, 11:49 Uhr: Nachdem 40 Kinder die erste Klasse der Gräfenauschule in Ludwigshafen wiederholen müssen, schlagen jetzt auch die Grünen im Stadtrat massiv Alarm! Wie die Schulleiterin Barbara Mächtle erklärt, hätten sich sprachliche Defizite und Nachholbedarfe der Schulanfänger dramatisch verschärft.

Gisela Witt, Mitglied der Grünen Stadtratsfraktion und Vorsitzende der Ortsbeiratsfraktion, sind die Probleme aus eigener Erfahrung vertraut: „Wir danken der Schulleiterin, dass sie die Situation in der Gräfenauschule öffentlich gemacht hat. Das Problem der mangelnden Schulvorbereitung ist nicht neu, aber es hat sich durch Corona und den starken Zuzug von Familien mit anderer Muttersprache deutlich verschärft.“

Barbara Mächtle, Schulleiterin der Grundschule Gräfenauschule, sitzt in einem Flur der Schule. Wohl gleich 40 Erstklässler müssen das Schuljahr wiederholen – ein Schock für Rektorin Barbara Mächtle.
Für Rektorin Barbara Mächtle ist die Zahl der Sitzenbleiber unter den Erstklässlern „erschreckend“. © Uwe Anspach/dpa

Der Stadtteil Hemshof, wo sich die Gräfenauschule befindet, stehe nicht alleine damit da. „Ähnliche Beschreibungen kennen wir aus vielen Grundschulen. Unter Lehrkräften gilt Ludwigshafen insgesamt als schwieriges Terrain. Wenn nicht grundlegend umgedacht wird, droht uns stadtweit der Bildungsnotstand“, warnt Witt.

Grüne im Stadtrat fordern Strategie für Bildung in Ludwigshafen

Die Grünen im Rat fordern Bildungsministerium, ADD und den Schulträger Stadt Ludwigshafen daher dazu auf, für Ludwigshafen eine umfassende Strategie zu entwickeln. 

Ibrahim Yetkin, integrationspolitischer Sprecher der Grünen im Rat und Sozialarbeiter in einer Hemshöfer Kinder- und Jugendeinrichtung: „Schulen und außerschulische Einrichtungen kooperieren selbstverständlich. Auch die Kinder-, Jugend- und Familienarbeit im Sozialraum stößt aber an ihre Grenzen. Das versprochene Quartiersmanagement unter der Überschrift ‚Sozialer Zusammenhalt‘ ist ein richtiger Ansatz. Um die wachsende soziale Spaltung wirksam zu überwinden, sind aber noch ganz andere Anstrengungen notwendig. Die von der ADD eingeforderte Haushaltskonsolidierung steht dem diametral entgegen.“

„Erschreckend“ – bleiben 40 Erstklässler an einer Schule in Ludwigshafen sitzen?

Erstmeldung vom 21. April: Die fröhlichen Farben auf dem Hof der Gräfenauschule in Ludwigshafen passen nicht zum Geschehen hinter den Mauern. Wohl gleich 40 Erstklässler der Grundschule im Hemshof müssen das Schuljahr wiederholen – ein Schock für Rektorin Barbara Mächtle.

„Erschreckend“ – bleibt ein Drittel der Erstklässler einer Ludwigshafener Schule sitzen?

„Die extrem hohe Zahl ist erschreckend. Im vergangenen Jahr waren es 23 oder 24“, sagt Mächtle, die die Schule mit 132 Erstklässlern in Ludwigshafen leitet. „Auch in anderen Klassenstufen gibt es Wiederholer – aber bei weitem nicht so viele.“ Die Gründe in der zweitgrößten Stadt in Rheinland-Pfalz sind vielfältig. Oft sprechen die Kinder schlecht Deutsch oder kommen aus bildungsfernen Familien.

Und meist waren die Kinder nur kurz oder gar nicht in einem deutschen Kindergarten. „Viele sagen, die Eltern sollen mal machen, aber die geben meist ihr Bestes. Ich habe Kinder, die waren zwei Jahre auf der Flucht. Da war nicht viel mit Schule“, sagt Mächtle. „Es fehlen die Vorläuferfähigkeiten. Es geht nicht nur darum, eine Schere richtig zu halten, sondern auch darum, sich in der Gruppe richtig zu verhalten.“ Auch die Kriminalstatistik in Rheinland-Pfalz ist alarmierend: Die Zahl der von Kindern verübten Straftaten ist massiv gestiegen.

Ludwigshafener Stadtteil Hemshof für viele ein Problemviertel

An der Gräfenauschule „hatten schon immer etwa 98 Prozent der Kinder einen Migrationshintergrund“, sagt die 47-Jährige. Der Schulstandort Hemshof, wo viele Migranten leben, wird von vielen als Brennpunkt oder Problemviertel bezeichnet. „Wer hier aufwächst, braucht nicht zwingend Deutsch zu lernen, aber in der Schule brauchen die Kinder es.“

„In Ludwigshafen werden die Missstände im Schulsystem wie unter dem Brennglas sichtbar“

Lars Lamowski, Landesvorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung (VBE)

Die Gräfenauschule sei kein Einzelfall: „In Ludwigshafen werden die Missstände im Schulsystem wie unter dem Brennglas sichtbar“, meint Lars Lamowski, Landesvorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung (VBE). Von der „Spitze des Eisbergs“ spricht der Grundschulleiter. „Unter der Decke schlummern viele Ludwigshafens.“

Ludwigshafener Rektorin will „Kopf nicht in den Sand stecken“

Dem Landesbildungsministerium zufolge ist der Schulaufsicht bisher kein Fall bekannt, bei dem eine Schule mit solch gravierendem Hinweis wie in Ludwigshafen an die Behörde herangetreten ist. Dass ein so hoher Anteil eines Schuljahrs als gefährdet benannt werde, sei ungewöhnlich, sagt ein Sprecher in Mainz. Die Zahl 40 stehe aber noch nicht fest. Die Entscheidung falle im Laufe des Schuljahrs.

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Dass die Lage auch an ihrer Substanz nagt, räumt die Rektorin ein. „Momente, in denen ich sage: „Boah, da kann ich eh nichts machen“, gibt es“, sagt Mächtle. Aber sie sei mit einem Kollegium zusammen, das sich der Situation ebenfalls jeden Tag stellen müsse. „Ich möchte diese Menschen unterstützen und nicht den Kopf in den Sand stecken. Solange ich die Kraft habe, werde ich für diese Schule kämpfen.“ (dpa/rmx)

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