Verurteilter Mörder (19) frei – laut Justizminister keine Hinweise auf Überlastung das Gerichts
Ludwigshafen/Frankenthal - Ein verurteilter Mörder (19) ist aus der U-Haft entlassen worden, weil der Prozess zu lange dauerte. Jetzt schaltet sich der Justizminister persönlich ein:
Update vom 11. November: Der Fall hat für bundesweites Kopfschütteln gesorgt: Ein verurteilter Mörder und Vergewaltiger kommt plötzlich aus der U-Haft frei! Im rheinland-pfälzischen Landtag hat sich jetzt erneut Justizminister Herbert Mertin (FDP) geäußert und sieht keine Hinweise auf Personalmangel am zuständigen Gericht. „Die Verfahrensverzögerung beruhte nicht auf Personalengpässen oder einer außergewöhnlichen Belastung der Kammer“, so der Politiker am Freitag (11. November) im Mainzer Rechtsausschuss.
Nach Mitteilung des Landgerichts Frankenthal lägen die Ursachen für die Verfahrensverzögerungen „ausschließlich im Bereich der richterlichen Unabhängigkeit“. Mertin verstehe, dass die Entscheidung, den noch nicht rechtskräftig verurteilten Mörder (19) auf freien Fuß zu setzen, in der Öffentlichkeit eine „verstörende Wirkung“. Als Justizminister habe er aber weder diesen Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Zweibrücken noch die Verhandlungsführung einschließlich der Terminierungspraxis der Jugendstrafkammer des Landgerichts Frankenthal zu kommentieren.
Justizminister schaltet sich ein – Mörder (19) trotz Verurteilung auf freiem Fuß
Erstmeldung vom 11. Oktober: Das eigentliche Verbrechen hat die Menschen bis weit über Ludwigshafen hinaus erschüttert! Ein damals erst 17-Jähriger vergewaltigt und tötet im März 2020 eine gleichaltrige Jugendliche am Willersinnweiher. Doch trotz Mord-Urteils ist der inzwischen 19-jährige Täter wieder auf freiem Fuß, was die Öffentlichkeit fast noch mehr bewegt.

Mörder trotz Urteils auf freiem Fuß – Justizminister setzt Thema auf Agenda im Landtag
Der Fall eines wegen Mordes und Vergewaltigung verurteilten 19-Jährigen, der wegen zu langer Verfahrensdauer aus der U-Haft freigekommen ist, schlägt weiter hohe Wellen. Der rheinland-pfälzische Justizminister Herbert Mertin (FDP) will laut einem Sprecher auf eigene Initiative im Rechtsausschuss des Landtags am 11. November über den entsprechenden Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Zweibrücken berichten.
Die Entscheidung ist auf viel Kritik gestoßen. Der Deutsche Richterbund spricht von immer längeren Strafprozessen. In Rheinland-Pfalz seien 2021 laut der „Deutschen Richterzeitung“ neun Haftbefehle aufgehoben worden.

Vergewaltiger und Mörder seit März 2020 in U-Haft
Der wegen Mordes und Vergewaltigung verurteilte 19-Jährige war seit März 2020 in U-Haft untergebracht. Das Urteil des Landgerichts Frankenthal vom August 2022 ist noch nicht rechtskräftig. Formal dauerte die Untersuchungshaft daher an. Der junge Mann hatte dem ersten Urteil zufolge am 12. März 2020 ein 17-jähriges Mädchen an einem Weiher in Ludwigshafen vergewaltigt und erwürgt. Zudem missbrauchte er laut Richterspruch drei weitere junge Mädchen sexuell.
Der Prozess gegen den damals 17-Jährigen hatte im September 2020 vor dem Landgericht Frankenthal begonnen. Im August 2022 wurde er zu zehn Jahren Jugendstrafe verurteilt. Die Staatsanwaltschaft und er legten beide Revision ein.
Ludwigshafen: Verurteilter Mörder (19) nach Haftbeschwerde wieder in Freiheit
Seine zusätzliche Haftbeschwerde hatte dann Erfolg! Das Pfälzische OLG Zweibrücken hob den Haftbefehl auf: Die Fortdauer der U-Haft sei mit dem Anspruch des Angeklagten auf eine beschleunigte Verurteilung nicht mehr vereinbar, die Verzögerungen habe nicht er verschuldet.
In dem fast zweijährigen Prozess sei nur an 57 Tagen verhandelt worden – aber an 20 dieser besagten Tage weniger als zwei Stunden lang. Die Verzögerung summiere sich so auf fast sechs Monate. Das Landgericht Frankenthal verweist auf eine aufwendige Beweisaufnahme, viele Prozessbeteiligte und auf Krankheitsfälle inklusive Corona.
Verurteilter Mörder (19) aus Haft entlassen – BGH-Entscheidung erst in einem Jahr?
Minister Mertin betont, die Unabhängigkeit der Justiz sei eine der tragenden Säulen des deutschen Rechtsstaates: „Als Justizminister nehme ich deshalb bewusst keinerlei Wertungen von Entscheidungen unabhängiger Gerichte vor.“ Der Anwalt der Nebenklage, Christoph Hambusch, sagt, den Eltern des getöteten Mädchens gehe es nach der vorläufigen Freilassung des 19-Jährigen sehr schlecht. „Für sie ist es eine unerträgliche Situation.“ Der OLG-Beschluss sei nach seiner „ersten groben rechtlichen Einschätzung“ nicht nachzuvollziehen.
Dagegen erklärt Alexander Klein, der Verteidiger des 19-Jährigen, der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe könnte über die eingelegten Revisionen nach vorsichtiger Schätzung womöglich erst in etwa einem Jahr entscheiden. Ohne Haftbeschwerde säße sein Mandant dann dreieinhalb Jahre in U-Haft. Das wäre eine außergewöhnlich lange Zeit für diese Art des Freiheitsentzugs und somit „vertane Lebenszeit“.
Ludwigshafen: Anwalt des Mädchen-Mörders sieht keine Fluchtgefahr
Sollte das erstinstanzliche Urteil je nachdem, wie der BGH entscheidet, rechtskräftig werden, müsste der junge Mann seine langjährige Haftstrafe antreten – übrigens die Höchststrafe laut Jugendrecht. Rechtsanwalt Klein sagt, sein Mandant sei familiär gebunden und nicht reich – seine Erfahrung sage ihm daher, dass der junge Mann nicht fliehen werde. „Natürlich kann ich meine Hand dafür nicht ins Feuer legen“, ergänzt der Jurist.
Sein ohne Auflagen vorerst auf freien Fuß gesetzter Mandant befinde sich an einem für die Öffentlichkeit unbekannten Ort. In sozialen Netzwerken werde nach ihm gesucht. „Die Polizei schaut, dass er in Sicherheit ist“, sagt Klein. Es gebe Patrouillen. Dabei geht es wohl auch um die allgemeine Sicherheit.

Die CDU-Landtagsopposition hat es als inakzeptabel bezeichnet, „dass eine Person, der derartig schwere Verbrechen zur Last gelegt werden, aus der Untersuchungshaft entlassen werden muss, weil das Gerichtsverfahren nicht in angemessener Zeit zum Abschluss gebracht werden kann“. Die AfD-Opposition warnt, von dem 19-Jährigen gehe „eine nicht unerhebliche Gefahr für die Gesellschaft aus“. Laut CDU muss Minister Mertin erklären, „ob mangelhafte Personalausstattung“ des Landgerichts Frankenthal die Ursache für die Freilassung war.
Chef des Deutschen Richterbundes warnt vor „hoher Belastung für Strafjustiz“
Der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbundes (DRB), Sven Rebehn, erläutert: „Die seit Jahren steigende Verfahrensdauer und die wachsende Zahl von U-Haftentlassungen wegen unverhältnismäßig langer Verfahren sind Symptome einer hohen Arbeitsbelastung der Strafjustiz.“ Eine Trendwende könne nur mit mehr Personal gelingen. „Hinzu kommt, dass Strafverfahren immer aufwendiger werden, weil internationale Bezüge zunehmen, die Komplexität des Rechts stetig steigt und die auszuwertenden Datenmengen in der digitalen Welt sprunghaft wachsen“, ergänzt Rebehn.
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Dass die Strafjustiz am Limit arbeite, zeige sich auch daran, dass in den vergangenen fünf Jahren bundesweit fast 300 Tatverdächtige wegen Verletzung des Beschleunigungsgebots in Haftsachen aus der U-Haft entlassen worden seien. Dabei sei die Zahlen gestiegen: Nach 40 Fällen im Jahr 2020 seien es im vergangenen Jahr 66 gewesen. (dpa/pek)